Manchmal ist es wirklich schwierig, eine sinnvolle Abgrenzung der Epochen zu definieren, die es in Wirklichkeit so ja nicht gab. Die Mode war und ist einem ständigen Wandel unterworfen und so sind die Übergänge natürlich fließend. Irgendwo muss aber ein Orientierungspunkt für den Beginn unserer Beschreibungen gefunden werden und deshalb haben wir uns für das Jahr 1618 als Startpunkt für unseren barocken Rückblick entschieden, den Beginn des 30-jährigen Krieges. Etwa ein Jahrhundert dauert das Barock und geht gegen 1715 über ins Rokoko.
Trotz - oder besser, gerade weil - sich Europa während dieser Zeit nahezu ständig in irgendwelchen Kriegszuständen befindet, wird das Leben in vollen Zügen ausgekostet. Durch den Krieg und seine vielen Opfer und Leiden hat man die eigene Vergänglichkeit ständig vor Augen - eine Aufforderung, das Dasein zu genießen. Zumindest für die, die es sich leisten können...
Was die Mode betrifft, so ist es der Adel, der die Maßstäbe setzt und der die modischen Extravaganzen ausreizt, während das einfache Volk die neuen Elemente für
gewöhnlich zeitlich versetzt in einfacherer Weise imitiert und
übernimmt. Dies wiederum gefällt dem Adel nicht, schließlich ist Mode, und dass man sie sich leisten kann, ein Statussymbol. Wie auch schon in den Jahrhunderten davor, versucht man deshalb, die Kleidung des Bürgers durch Vorschriften und Einschränkungen zu reglementieren.
Die Entwicklung der Mode im Barock
1618 - 1650
Noch sind die Einflüsse der spanischen Mode vorherrschend. Steife, dunkle und hochgeschlossene Roben sind üblich. Das vorne versteifte Oberteil, das Mieder, läuft in V-Form spitz nach unten zu und wird hinten verschlossen. Der Anschein weiblicher Rundungen wird vermieden, so wird das Mieder an den notwendigen Stellen ausgepolstert oder mit Einlagen versehen um eine möglichst glatte Front zu erhalten. Manchmal werden Schößchen am Mieder angesetzt und es wird dezent, aber dennoch aufwändig bearbeitet und verziert. Ansonsten ist das Auffälligste der Kragen, die große, weiße Halskrause, auch Mühlsteinkragen genannt. Einzig lockerer getragen wird ein Obergewand, der Manteau. Ein vorne offen getragenes Mantelkleid, dessen rückwärtiger Teil stoff-und faltenreich frei über das kegelförmige Kleid nach unten fällt. Vorne sind Mieder und Rock zu sehen. Das Mieder kann hierbei auch
einfach durch eine Atrappe ersetzt werden und der Rock durch eine
Art Schürze. Man spart eben, wo man kann und im Lauf der Zeit werden das
"halbe Mieder"* oder der "Miederstecker"* zur gängigen Kombination für den Manteau. Das Oberkleid wird hierbei einfach seitlich am Miederstecker oder halben Mieder
festgesteckt.
Antony van Dyk, um 1620/1621 - Bildquelle: The National Gallery, London |
Nimmt man nun dieses bereits erwähnte neue Lebensgefühl, das sich im Barock entwickelt, ist die logische Schlussfolgerung, dass die beschriebene Kleidung nicht dazu passt. Unsere Altvorderen haben deshalb auch genug von den Spaniern und orientieren sich nun lieber an den legeren Franzosen. Diese konnten der steifen Halskrause ohnehin nie besonders viel abgewinnen und trugen bereits seit Ende des vergangenen Jahrhunderts einen großen, flach aufliegenden, mit Spitzen verzierten Leinenkragen. Nachdem dieser bequemere Kragen schon von den Männern übernommen und für gut befunden wurde, traut sich nun auch die Frau und entledigt sich gegen 1630 des Mühlsteins (in Ländern wie Spanien oder den Niederlanden hält man noch länger daran fest). Ebenso ergeht es dem Reifrock, dem hohen Ausschnitt und den engen Ärmeln. Innerhalb der folgenden Jahre findet eine ungeheure Wandlung statt.
Philippe de Champaigne, Public domain, via Wikimedia Commons |
Die Taille rutscht seitlich nach oben. Das Mieder ist zunächst noch kurz gehalten. Man mag es üppig und sinnlich und so werden Po und Hüften zusätzlich
durch einen "Weiberspeck" betont, einen ausgestopften Wulst, der über
der Hüfte getragen wird. Der Ausschnitt wird weiter, ebenso die Ärmel (wieder bei den Männern abgeschaut). Das Dekolleté und der Schulterbreich werden durch breite, mit reichlich Spitze besetzte Tücher betont. Ärmel
schließen entweder mit einer großen Spitzenmanschette ab oder die mit Spitze
verzierten Ärmel des Hemdes ragen unter dem kürzer werdenden
Kleiderärmel hervor. Die Spitzen sind das wesentliche Schmuckelement der
Kleidung, die ansonsten eher schlicht und einfarbig gehalten wird. In den 1630ern zielt alles darauf ab, die Breite der Silhouette zu betonen.
Dann wird die Spitze wieder sparsamer eingesetzt. Es ist eine Vorliebe für schlichte Eleganz der Kleidung festzustellen. Das Mieder nimmt im Lauf der Jahre vorne spitz zulaufend weiter an Länge zu. Von innen wird die so entstehende Schneppe durch das
Einschieben eines "Blankscheits" (vom französischen "planchette" = Brettchen) gestützt. Das Mieder selbst kann
komplett mit Fischbein versteift sein, so dass das Tragen eines
zusätzlich stützenden Untermieders nicht notwendig ist. Der Oberrock fällt mit großzügigem Faltenwurf über die Unterröcke und
wird am Mieder angenäht. Anstelle der dunklen, matten Farben erscheinen
nun wieder buntere und kräftigere Töne. Perlen sind gern gesehene Kombinationspartner.
Antony van Dyk, - Bildquelle: The National Gallery, London |
Die Haare werden am Hinterkopf zusammengefasst und hochgesteckt, während die Seitenpartien frei bleiben und zu Löckchen aufgedreht werden. Schließlich landet auch noch der breitkrempige Filzhut der Männer auf dem Kopf der Frauen. Als der Krieg 1648 nach 30 Jahren endet, hat sich die Silhouette der Damen völlig verändert.
1650 - 1675
Das Zentrum (nicht nur) der Mode bleibt in Frankreich. In
Versailles beginnt der absolut herrschende Ludwig XIV. mit dem Ausbau
seines Jagdschlosses zum Residenzschloß. Er führt erfolgreich Kriege,
erweitert die Grenzen, erobert Kolonialgebiete und feiert sich selbst.
Kein Weg führt an ihm vorbei und wie so vieles orientiert sich auch die
Mode am französischen Hof. Der König mag es opulent und pompös und so verbreitet sich der Prunk von dort über die
Herrscherhäuser im restlichen Europa.
In der Mode war eine neue Grundform erreicht und die folgenden Jahre werden dazu genutzt, diese auszustaffieren. Um es vorweg zu nehmen: Es wird geklotzt und nicht gekleckert! Der Ausschnitt reicht inzwischen von einer Schulter zur anderen. Er hat somit die maximale Weite und ist so tief, dass die Ansätze der Brust zu sehen sind, die der Mode entsprechend durch das versteifte Mieder zusätzlich nach oben gedrückt wird. Reicht die Natur nicht aus, so wird nachgeholfen und im Mieder stützende Polster angebracht.
Man beginnt die Front des Mieders zu verzieren, wobei man sich hauptsächlich an den Nähten orientiert und auf diese Spitzenborten (auch aus Metallgarn), Perlen oder edle Steine aufsetzt oder mit Stickereien schmückt. Durch die so senkrecht und schräg laufenden Linien wird die Vertikale wieder mehr betont. Dekoletté und die unter den Oberärmeln vorquellenden Hemdsärmel haben feinere Umrandungen, bzw. Abschlüsse aus Spitze, Batist, Gaze, Musslin oder ähnlich zarten Stoffen.
Die weiten Ärmel werden ebenfalls verziert, sei es durch das Abbinden
von Puffen oder mit Schleifchen, Spitzenabschlüssen, etc., alles auch in
Kombination möglich. Insgesamt werden sie kürzer und rücken zum Teil
bis zum Ellenbogen zurück.
1660-1670, Manner of Q64669632, Public domain, via Wikimedia Commons |
In der Vergangenheit hatte die Versteifung des Mieders den Zweck, die Front flach zu halten und schließlich noch die Brust nach oben zu drücken. Mit der allmählichen Abkehr von der breiten Silhouette gewinnt schließlich der Wunsch nach einer schlankeren Linie mehr Bedeutung. Dies bewerkstelligt man mit einem entsprechenden Untermieder, der Schnürbrust, die - wie der Name schon sagt - durch das Zusammenschnüren der Körpermitte dieser den gewünschten Durchmesser verschaffen soll. Schleppen entstehen und geben dem Körper optisch ebenfalls mehr Länge. Gegen Mitte des Jahrhunderts
erscheinen nun auch gemusterte Stoffe.
1675 - 1715
Das Manteau des frühen Barock hatte in seiner lockeren Variante die Zeit eher als informelle, legere Kleidung im modischen Hintergrund überdauert. Eine formellere Variante gewinnt aber im letzten Drittel des Jahrhunderts volle Aufmerksamkeit und ist plötzlich der Shooting-Star der Zeit. Das Manteau scheint im späten Barock derartige Begeisterung hervorgerufen zu haben, dass die weitere Entwicklung der Miederkleider nicht mehr erwähnenswert ist. Verschwunden waren sie deshalb nicht, sie existierten im Schatten des Manteaus parallel weiter.
Wir erinnern uns: Es handelt sich beim Manteau dem Grunde nach um ein Gewand,
dessen Rückenteil stoffreich und locker nach unten fällt und das in der Regel vorne offen über einem Rock und einem Stecker getragen wird. Die Stoffe sind durchgängig geschnitten, es gibt keine Teilungsnähte zwischen Oberteil und Rock. Zur Herstellung eines Manteaus benötigte man also reichlich Stoff. Im Unterschied zur Miederkleidung findet der Verschluss des Mantelkleides folgerichtig vorne statt. Den Lückenschluss zwischen den beiden Vorderteilen bildet der Stecker, welcher auf der Schnürbrust mit Stecknadeln angebracht wird. Die Vorderteile des Manteaus wiederum werden dann seitlich am Stecker befestigt (wieder festgesteckt). Der Stecker selbst ist quasi ein Mieder-Fragment. Es handelt sich hierbei um das versteifte, V-förmige Frontteil eines Mieders.
Die Entwicklung des Manteaus in der formellen Variante erfolgte im Verlauf des Barocks dahingehend, dass durch Faltung der Stoffe das Manteau der Form des Oberkörpers angepasst wurde, die Zeiten des
locker-lässigen Daseins sind für dieses Kleidungsstück also vorbei. Nach unten hin bleibt die Stoffmenge jedoch ungefaltet und bieten genügend Material zur Drapage. Die vorderen Rockteile werden zunächst zur Seite hin gerafft und schließlich in den 1680er Jahren seitlich zurückgeschlagen, unter dem Hintern angeknöpft. So wird der darunter liegende Rock - nun französisch "Jupe" genannt - sichtbar. Er kann sowohl aus dem
selben oder auch einem anderen Stoff gefertigt sein. Betont wird der
Saum, hierbei können Volants, Rüschen oder Fransen, etc. angebracht
sein. Der Stecker erfährt im Lauf der Zeit immer mehr Aufmerksamkeit und
wird liebevoll geschmückt, bestickt und verziert. Der Ausschnitt wird eckig und kleiner, die Schultern sind wieder bedeckt.
Palace of Versailles, Public domain, via Wikimedia Commons |
In den 1690er Jahren wird der Manteau über dem Po immer mehr aufgebauscht und ausgepolstert. Mit dem "Cul de Paris" war schnell ein Begriff hierfür gefunden, der Art und Herkunft des modischen Auswuchses unverblümt, aber prägnant beschreibt. Die Stoffe fallen
schließlich in Falten nach unten und laufen in einer Schleppe aus, was
den Körper optisch streckt. Eine weitere Maßnahme trägt ebenfalls zur
Streckung bei, nämlich der zugehörige Kopfschmuck und die entsprechende
Frisur. Hier bedient man sich eines per Drahtgestell in die Höhe
wachsenden (manchmal eher nach vorne kippenden) Spitzenhäubchens, der
Fontange. Manteau und Fontange sind fortan untrennbar miteinander
verbunden.
Zu Miederkleidern wird die Fontange nicht getragen. Um auch hier die modische Betonung eines hohen Kopfes zu erreichen, bedient man sich der Haarpracht und zwingt sie in die Höhe. Da in der Mode immer alles auf die Spitze getrieben werden muss, stehen die Haare also immer mehr zu Berge - auf geordnete Weise, versteht sich. Kurz nach 1700 besinnt man sich dann und die Aufbauten nehmen peu á peu wieder moderatere Ausmaße an. Etwa zehn Jahre später ist auch diese Extravaganz Geschichte.
Um 1715 Jahr stirbt Ludwig XIV. Das Manteau-Kleid samt Fontange verschwindet um diese Zeit wieder. Man hat andere modische Ideale gefunden, das Rokoko beginnt.
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*Quelle für die Begriffe: Diss. von Dr. Joh. Pietsch. "Die Kostümsammlung Hüpsch im Hessischen Landesmuseum Darmstadt Bestandskatalog der Männer- und Frauenkleidung Studien zu Material, Technik und Geschichte der Bekleidung im 17. Jahrhundert". Wer sich für das Barock und die Kleidung interessiert, sollte diese unbedingt durchlesen und wird dort viele Informationen und auch Schnittschemata finden. https://mediatum.ub.tum.de/619442