Belle Époque

Als Zeit der Belle Époque wird meistens ein Zeitraum von drei Jahrzehnten zwischen 1884 bis 1914 bezeichnet. In unserer Aufzählung der Modeepochen beginne ich allerdings mit dem Ende der Zweiten bzw. Späten Tournüre um 1890, da wir uns hier zur genaueren Unterscheidung gut an den Modestilen orientieren können.

Das Fin de Siècle wartet noch einmal mit einer Silhouette auf, die uns bekannt vorkommt: kegelförmige Röcke und Ärmel, die kurz nach Beginn des Jahrzehnts zu Keulenärmeln heranwachsen. Beinahe wie eine etwas nüchternere Interpretation von Elementen des Biedermeiers. Ärmel und Rockumfang wachsen an, um dann zur Jahrhundertwende in eine weichere, fließendere Form überzugehen. Die sogenannte S-Linie wird sichtbar: blusige Oberteile, die einer Taubenbrust nachempfunden sind und eine leichte Betonung des Gesäßes, die durch eine flache Bauchpartie noch unterstützt wird. Dieser Stil geht dann wiederum in eine gerade Silhouette über, die schon beinahe säulenhaft wirkt und deren bekanntestes Merkmal eine leicht hochgesetzte Taille in Anlehnung an das Empire ein gutes Jahrhundert davor ist.

In dieser Zeit liegt eine durchgängige Betonung auf einer schmalen Taille, das Ganze konterkariert mit voluminösem Haar und großen Hutkreationen. Und ab der Jahrhundertwende werden sich auch Jugendstil und Art Déco auf die Mode auswirken. Nicht nur die dekorativen Elemente, wie Stickereien und Schmuck; die Ästhetik dieser Kunstformen wird auch die Alltagskleidung an sich prägen.

1890 bis 1900 - die Zeit der Gibson Girls:

Die Damenmode der Zweiten Tournüre hatte bereits viele Elemente der Herrenmode in die Tageskleidung übernommen. Dieser Trend hält auch während der 1890er Jahre an. Es wird weiter eine eher strenge und unprätentiöse Linie verfolgt. Hier bildet die festliche Mode eine Ausnahme. Dort wird gerade das Oberteil gerne - vorallem in der französischen Mode - üppig ausdekoriert. Spitze und luftige Materialien werden bevorzugt. Sie bilden ein Gegengewicht zu den fast schwer wirkenden Stoffen der Tageskleidung.

Das Gesäß ist zu Beginn der Dekade noch leicht betont, aufgesetzte Drapierungen und Paniers verschwinden allerdings vollständig. Im Laufe dieses letzten Jahrzehnts des 19. Jahrhunderts fallen die Röcke meist kegelförmig nach unten. Ihr Umfang nimmt mit den Jahren deutlich zu, bis mittels eingesetzter Keile oder auch ganzer Rockbahnen, regelrechte Glockenröcke in Mode kommen. Der größere Teil des Umfanges wird in die hinteren Rockbahnen verlegt. Eine leichte A-Form bleibt aber erhalten, obwohl die Röcke sich zuletzt enger um die Hüften schmiegen und wieder ein wenig Kurven zum Vorschein kommen. Die Röcke sind tagsüber grundsätzlich fußfrei. Gegen Ende des Jahrzehnts taucht dann auch in der Tageskleidung wieder die Schleppe auf. 

„La Mode Illustrée“ 1895

Statt durch ausgefallene Unterbauten werden die Röcke durch voluminöse Unterröcke, teilweise mit separater, d.h. abknöpfbarer Balayeuse (einem mit Rüschen besetzten halbmondförmigen Stoffstück) gestützt. Diese Balayeuses waren auch schon früher als Schutz unter Schleppen getragen worden. Jetzt erfüllen Sie allerdings auch eine strukturelle Funktion.

Gegebenenfalls kommen noch ein oder mehrere kleine Polster über dem Gesäß oder auch den Hüften dazu, falls die eigenen, körperlichen Voraussetzungen nicht ganz ausreichen. Wie schon früher betont eine volle Hüfte gleichzeitig eine schmale Taille. Diese sitzt weiterhin auf ihrer natürlichen Höhe. 

Das optische Gegenstück wird zunehmend eine betonte Schulterpartie. Wir erinnern uns: Die Ärmelköpfchen waren zum Ende der Zweiten Tournüre recht markant. Nun werden die Ärmel am Oberarm weiter und weiter, bis kurz vor Ende des Jahrhunderts ein letztes Mal Keulenärmel in der Mode eine Rolle spielen. Wie damals, zur Zeit der Hammelkeulenärmel im Biedermeier, betont auch die Überkleidung, wie z.B. eine Pelerine die breiten Schultern.

Ansonsten folgen Mäntel und Co. der Sihoutte der Kleider. Breite Kragen, Revers und die o.g. Pelerinen betonen auch hier die Schultern. Durch den Fortschritt notwendige, markante Ausnahme: der Staubmantel für Automobilfahrten. Dieser war hauptsächlich zum Schutz der Kleidung gedacht und locker geschnitten.

Eine gängige Kombination für den Tag, um nicht zu sagen, den Alltag, ist gerade in den 1890ern außerdem die Kombination aus Rock und Bluse. Dieser Anzug wird praktisch das Markenzeichen der jungen, aktiven Frauen und der berufstätigen Damen und es gibt ihn, je nach Einkommen und gesellschaftlichem Stand, in den verschiedensten Ausführungen. Auch gerne komplettiert durch eine klassische, von den Herren der Schöpfung übernommene, „Kreissäge“ (einen schlichten Strohhut). Ein auch heute noch ikonisches Bild. Hier liegen übrigens bereits die Anfänge dessen, was wir heute als praktische Alltagskleidung bezeichnen würden.

Desweiteren gibt es Bestrebungen, die Kleidung der Frau weiter zu emanzipieren. Diese sogenannte Reformkleidung soll ohne Korsett getragen, luftig und doch durchaus elegant sein. Ausflüge in diesen Bereich der Mode sind eher der Bohème und mutigeren Gutbetuchten möglich. 

Und wenn wir von einer zunehmenden Selbständigkeit der Frauen sprechen, darf natürlich nicht der Sport vergessen werden. Er wurde von Damen, die es sich leisten konnten, schon seit Längerem betrieben: Reiten, Fechten, Tennis, Bogenschießen, Wandern bzw. Bergtouren und irgendwann sogar Golfen und Radfahren. Schwimmen natürlich auch. Ob hier allerdings tatsächlich im sportlichen Sinne geschwommen oder doch mehr im Wasser geplitschert wurde, sei dahin gestellt. 

Die dafür notwendige Bekleidung orientiert sich weitgehend an der Tageskleidung und natürlich - wieder einmal - an der Herrenmode. Sie soll mehr Bewegungsfreiheit ermöglichen und es werden tatsächlich auch vermehrt Hosen integriert. Ein Detail, das in in der Mehrheit allerdings für Ablehnung und Spott sorgt.  

Sportkleidung um 1900, Quelle *
Sportkleidung um 1900, Bildquelle:  The New York Public Library* 


Aber gerade zum Ende des ausgehenden Jahrhunderts hin treten diese Aktivitäten und die dafür notwendige Bekleidung - jetzt auch für die wagemutigere Dame um das Abenteuer der Automobilfahrt ergänzt - immer mehr in den Fokus einer breiten Öffentlichkeit. Auch weniger betuchte Damen entdecken nun neue Freizeitaktivitäten für sich.

1900 - 1910 - Sans-Ventre- oder S-Linie:

Die Optik der 1890er Jahre, die man beinahe als zwei aufeinander gestellte Kegel- bzw. Dreiecksformen beschreiben kann, wandelt sich - von der Seite betrachtet - zu einer weichgeschwungenen S-Form. Die ganze Mode wirkt insgesamt wieder femininer und verspielter.

„La Mode Illustrée“ 1900

Der weite Saumumfang der Röcke bleibt, allerdings schmiegen sie sich eher an die Hüften an, um dann ab kurz über dem Knie mehr oder weniger dramatisch aufzuspringen. Auch hier sorgen Unterröcke mit mehreren, aufgesetzten Volants oder Faltenbesätzen für die notwendige Unterstützung. Sie dürfen auch schon einmal neckisch hervorblitzen, da die fortbestehende Mode einer mal kürzeren, mal längeren Schleppe zum Tageskleid ein Anheben derselben öfters notwendig macht. 

„La Mode Illustrée“ 1908

Die Oberteile betonen nicht mehr übermäßig breite Schultern, sondern einen langen Hals und eine leicht nach unten hängende Brustlinie. Diese Taubenbrust unterstreicht die erwünschte S-Form. Ärmel sind eher um die Handgelenke herum oder ab dem Ellenbogen abwärts weiter geschnitten. Eingesetzte oder aufgenähte Spitzen werden ein, auch in der Tagesmode gerade für Blusen, übliches Schmuckelement. Häufig setzt man mit verschiedenen Handstichen unterschiedliche Spitzenbänder oder Stoffe zusammen, um die Fertigung aus einem Stück Zeug zu vorzutäuschen. Die Achselnaht sitzt weiter auf der Schulter. Allerdings ist jetzt ein weicher Stoff-Fall eher erwünscht, als ein abstehendes Köpfchen.

Vom Rand des hohen, eng anliegenden Kragens über die leicht abfallende Schulter, den fließenden Ärmel bis zum Handgelenk: die Linie ist geschwungen und weich.

Zum Ende des Jahrzehnts mildert sich die S-Form allmählich, die sehr weit geschnittenen, blusig hängenden Fronten werden mehr und mehr an den Körper angelegt, die Rockumfänge nehmen deutlich ab. Die Säulenform der letzten Jahre der Belle Èpoque kündigt sich an.

1911 bis 1914:

Die finalen Ausläufer der S-Linie verschwinden aus der Mode. Es entsteht eine Silhouette, die wie eine Mischung aus griechischer Antike und dem Empire wirkt. 

„Die Modenwelt“ 1911

Lange, gerade herabfallende Röcke sind en vogue, die eine gute Handbreit über der natürlichen Taille ansetzen; gerne auch durch Schärpen und Gürtel betont. Wiedereinmal verschwindet die Schleppe aus der Tagesmode. Zu festlichen Gelegenheiten wird sie noch hervorgeholt. Zuletzt in der Form der Nixenschleppe. Und es wird auch wieder nach Herzenslust mit verschiedenen Stofflagen gespielt. Sowohl im Bereich der Röcke, als auch der Taillen.

Diese lassen noch leicht die ehemalige Taubenbrust erahnen. Aber spätestens ab 1912 ist sie verschwunden. Die Oberteile verkürzen sich optisch durch die nach oben gesetzte Taille. Revers und ausgefallene Kragen lockern das Erscheinungsbild auch bei der Tageskleidung auf. Sie wirken trotz aller Gradlinigkeit eher verspielt, als streng maskulin.

Tuniken und Oberbekleidung reichen jetzt gerne weit über die Hüfte hinab und betonen die langgezogene Körperform. Die Taille wird noch immer leicht akzentuiert. Gelegentlich setzen einige Entwürfe den Rockteil oder Überröcke auch mit Mehrweite an, wodurch eine markante Betonung der Hüften entsteht, wie sie z.B. von Paul Poiret aus dieser Zeit und den wenigen, folgenden Jahren bekannt sind.

„Die Modenwelt“ 1914

Ab 1912 nimmt der Saumumfang dann dramatisch ab. Modische Damen können kaum noch einen normalen Schritt tun, man bewegt sich eher trippelnd voran. Der Humpelrock ist der letzte Schrei. Wir erinnern uns: zur Zeit der Engen Mode war es schon einmal soweit. Diesmal wird man sich tatsächlich nach dem Ende der Belle Èpoque in Richtung eines kürzer werdenden Rockes bewegen. 

„Dies Blatt gehört der Hausfrau“ 1914

Hals und Schulternlinie werden weiter betont. Man spielt mit den Ärmeln. Eine lange, schlanke Form wird bevorzugt, allerdings kommen auch Kimono-, Raglan- und Fledermausärmel auf. Diese werden gern weiter, aber eher halb- oder dreiviertellang geschnitten und mit engen, langen oder bisweilen sogar überlangen Unterärmeln kombiniert.

Auch die großen, ausladenden Hüte sind jetzt passé. Hüte aus der Männermode werden übernommen oder kleine Hüte mit schmalen Krempen getragen. Auch der Trend der letzten Jahrzehnte, die Überbekleidung, wie Mäntel und Jacken, an der Kleidung der Herren zu orientieren, bleibt ungebrochen.

Nun steht aber der Erste Weltkrieg vor der Tür. Nicht nur die Welt, auch die Mode verändert sich erneut.



Quellenangabe:
*) The Miriam and Ira D. Wallach Division of Art, Prints and Photographs: Picture Collection, The New York Public Library. "Misses' Or Girls' Gymnastic Costume, Of Which The Blouse May Have Two-Seam Or Blouse Sleeves." The New York Public Library Digital Collections. 1900. http://digitalcollections.nypl.org/items/510d47e1-1e9a-a3d9-e040-e00a18064a99