05 September 2020

Sprechende Knochen - wie Nahrung Spuren in der Menschheitsgeschichte hinterläßt

Ich weiß, mit so einem Beitrag rechnet man nicht, wenn man einen Blog über Kostümgeschichte anklickt. Aber über das Leben in der Vergangenheit kann man sich nur ein Bild machen, wenn man Informationen aus sovielen Bereichen, wie möglich zusammenträgt.

Nicht nur erhaltene Kleidungsstücke und andere Grabbeigaben helfen dabei, sich in jemanden hineinzuversetzen. Gerade anhand von menschlichen Überresten kann man viel über eine Person und ihre Lebensumstände sagen. Mann oder Frau? Wie alt wurde dieser Mensch vermutlich? Gab es Krankheiten oder Verletzungen, die ihre Spuren hinterlassen haben? Vielleicht findet sich sogar eine Todesursache. Oder man kann Rückschlüsse auf die Arbeit und/oder den sozialen Rang des Verstorbenen ziehen.

Mit jedem Jahrzehnt kommen weitere Zweige der Forschung und Wissenschaft hinzu, die dabei helfen unsere Vergangenheit zu entschlüsseln. Als ein wichtiges Instrument hat sich die DNS-Analyse herausgestellt. Das Verfahren auch noch sehr alte DNS-Stränge so aufzubereiten, dass man sie analysieren kann, hat bahnbrechende Entdeckungen ermöglicht (Beispiel: Neanderthaler-DNS in den Genen moderner Menschen (1)).

Vielleicht nicht ganz so spektakulär, aber mit großem Potential ist das Verfahren der Isotopen-Analyse. Und hier wird deutlich, was dieser Beitrag mit Essen zu tun hat und am selben Platz, wie der monatliche Gruß aus der Küche veröffentlicht wird. 

Laienhaft ausgedrückt, lagert jede Aufnahme von Flüssigkeit und Nahrung in unserem Körper stabile Isotope in Knochen, Haaren und Fingernägeln ein. Je nach Region ändert sich die Menge dieser eingelagerten Stoffe und so kann man grob ein Bewegungs- und Ernährungsprofil der Person erstellen. 

Weg des Strontiums - Wikipedia (I)

Der Zahnschmelz z.B. gibt Auskunft darüber, wo jemand aufgewachsen ist (2). Die Einlagerungen in den Haaren ermöglichen - je nach Haarlänge - Ergebnisse über einen längeren, chronologischen Zeitraum rückwirkend ab dem Tod. Je Zentimeter spricht man von circa einem Lebensmonat.

Man kann aber auch ein Ernährungsprofil einer bestimmten Region oder Bevölkerung zu einer bestimmten Zeit erstellen. Dasselbe funktioniert auch bei Tieren. Kombiniert man die Ergebnisse, kann man auch Rückschlüsse darüber ziehen, welche Nahrungsmittel gegessen wurden (3). 


Beispiele aus der Praxis

In der Einführung zu dem Buch „15 000 Jahre Mord und Totschlag“ berichtet der Autor von einem Beispiel, an dem die Zusammenarbeit mehrerer Disziplinen - wie Medizin, Biochemie, Archäologie u.A. -  zu einem erstaunlich genauen Bild der Lebensumstände einer Römerin führte (4). Ich zitiere: 

„(...) eine im Alter von etwa dreißig Jahren erschlagene, knapp 1,60 Meter große Römerin (die) im Alter von zwei Jahren abgestillt wurde, mit sechs bis sieben Jahren unter einer Krankheit oder Mangelsituation litt, sich einige Jahre vor Ihrem Tod den Arm gebrochen und mindestens einmal entbunden hat, von heftigen Zahnschmerzen geplagt wurde, über längere Zeit schwere Lasten tragen musste, in einer vom Fundort weit entfernten Region aufgewachsen und möglichweise die Tochter eines in der Nähe bestatteten Mannes ist, (...)“

Das Mädchen von Egtved (5) - ein Fund aus Dänemark - ist ein weiterer Fall in dem die Analyse angewendet wurde.

Mädchen von Egtved - Wikipedia (II)

Auch wenn sich die erste Untersuchung, nach der die junge Frau aus der Schwarzwaldregion gestammt haben könnte, als falsch erwiesen hat (die Proben waren kontaminiert), konnte in einer zweiten Untersuchung festgestellt werden, dass sie sich im Laufe der letzten 2-3 Jahre regelmäßig von ihrem Heimatort entfernt aufgehalten hat (6).

Der bekannte Archer of Amesbury (7) konnte aufgrund der Isotope in seinem Zahnschmelz als Einwanderer identifiziert werden. Er stammt ursprünglich aus der Alpenregion.

Amesbury Archer - Wikipedia (III)

Über die Isotopen-Analyse in Verbindung mit Informationen aus anderen Bereichen kann man eine qualifizierte Schätzung abgeben, wann in welchen Regionen Ackerbau vorherrschte oder der Fleischverzehr anstieg und welches Fleisch gegessen wurde ode ab wann Milchprodukte vermehrt auf den Speisezettel kamen. Hier gibt es auch Verbindungen zur Einwanderung von Steppenvölkern zur Zeit des Neolithikum ( ab ca. 2800 bis 2100 v.Chr.). Tierische Produkte wurden jetzt häufiger verzehrt und auch der Genpool veränderte sich (8).

Ein interessantes Beispiel dafür, was uns auch die Überreste von Tieren sagen können, steht im Zusammenhang mit der Erforschung von Stonehenge und seiner Umgebung (9). Anhand vorgefundener, tierischer Knochen konnten die Forscher feststellen, dass die hier verzehrten Schweine aus dem Norden Großbritanniens stammen und im Winter geschlachtet wurden (ca. 2800 bis 2400 v.Chr.). Die Vermutung liegt nahe, dass dieser Aufwand anlässlich eines großen, religiösen Festes im Winterhalbjahr betrieben wurden. Und der Aufwand war beträchtlich, wenn man bedenkt, das es noch kein Rad und somit keine Wagen gab, um die Tiere zu transportieren.

Ein Beispiel aus der neueren Vergangenheit ist ein Massengrab aus dem Dreißigjährigen Krieg. Im Jahr 2007 wurde in der Nähe von Wittstock ein Grab mit 125 Skeletten entdeckt, die zu Soldaten gehörten, welche am 4. Oktober 1636 gefallen waren. Anhand der Isotopenanalyse konnte man u.a. die Herkunft der  Verstorbenen bestimmen. So waren nicht nur Mitteleuropäer vertreten, sondern auch Schotten, Schweden, Letten u.A.. Das Grab haben viele verschiedene Disziplinen analysiert und ihre Ergebnisse zusammengetragen. Die begleitende Veröffentlichung zur damaligen Ausstellung „1636 - Ihre letzte Schlacht“ (4) kann ich jedem empfehlen, der sich für diese Zeit und auch das Leben der Soldaten interessiert.

Schlacht bei Wittstock - Wikipedia (IV)

Und mit diesen Erkenntnissen läßt sich auch ganz praktisch im Rahmen der experimentellen Archäologie und des Reenactments eine genaueres Bild der Vergangenheit darstellen. Nicht nur eine Siedlung mit den dazugehörigen Tieren und Ackerpflanzen, evtl. lassen sich auch Mahlzeiten im Detail rekonstruieren und in die Darstellung einbauen.

Alles in allem kann man feststellen, dass wir Menschen schon immer eine unstete Spezies waren. Große und kleine Wanderbewegungen fanden fortwährend statt und die Spuren, die unsere Nahrung in unseren Körpern hinterläßt, ermöglicht einen Einblick in längst vergangene Zeiten. Und vielleicht regt dieser Beitrag dazu an, einen Blick auf die Quellen zu werfen und sich für diesen Teil der Forschung zu interessieren.

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Quellen:

Online-Quellen:

(2) https://www.scinexx.de/dossierartikel/die-zaehne-zeigen-es/

(5) https://de.wikipedia.org/wiki/Mädchen_von_Egtved

(5) etwas ausführlicher auf Englisch: https://en.wikipedia.org/wiki/Egtved_Girl

(6) 2. Untersuchung (ab Seite 4, auf Englisch): https://gup.ub.gu.se/file/207811

(7) auf Englisch, https://www.wessexarch.co.uk/our-work/amesbury-archer

(7) https://de.wikipedia.org/wiki/Bogenschütze_von_Amesbury

(9) auf Englisch, https://advances.sciencemag.org/content/5/3/eaau6078

 

Buch-Quellen:

(1) „Neanerthal Man - In Search of Lost Genomes“ von Svante Pääbo

(4) „15 000 Jahre Mord und Totschlag - Anthropologen auf der Spur spektakulärer Verbrechen“ von Joachim Wahl

(8) Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“, Ausgabe 02/2017, „Stabile Isotope im Skelett - Umwelt, Ernährung und Migration“ von Gisela Grupe

(3) Zeitschrift „Archäologie in Deutschland“, Ausgabe 04/2016, „Wandel der Ernährungsweise in Mitteldeutschland zwischen 5500 und 1600 v.Chr.“ von Angelina Siebert et al.

(4) „1636 - Ihre letzte Schlacht, Leben im Dreißigjährigen Krieg“ von Sabine Eickhoff et al.


Bild-Quellen:

(I) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Megalwal44.png

(II) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Kvindegrav_fra_Egtved.jpg

(III) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Amesbury_Archer_-_Salisbury_and_South_Wiltshire_Museum.jpg

(IV) https://commons.wikimedia.org/wiki/File:The_Battle_of_Wittstock_1636.jpg

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