05 August 2020

Alle Jahre wieder - was machen mit den vielen Tomaten?

Es kommt jetzt langsam aber sicher die Zeit des Jahres, wenn Leute vor ihrer Tomatenernte stehen und kaum noch wissen, wohin damit. Man wälzt Kochbücher und recherchiert die tollsten Rezepte, aber im Normalfall wird dann doch wieder Tomatensauce eingekocht oder vielleicht selbst Ketchup gemacht. Wie wäre es einmal mit einem anderen, völlig unkomplizierten Rezept?

Vorher aber noch ein kurzer Ausflug in die Geschichte zum Thema Tomate: Nach der Eroberung der neuen Welt gelangte im 16. Jahrhundert - wie vieles andere - auch die Tomate nach Europa. Über Spanien hielt sie in den Gärten der Oberschicht Einzug. Wie bei der Kartoffel wurde sie lange eher als Zierpflanze gesehen und galt als ungenießbar oder sogar giftig. Scheinbar waren die Italiener mit die ersten in Europa, die das neue Gewächs auf die Speisekarte setzten.

 Stich aus dem 18. Jahrhundert*

Im Laufe des 18. Jahrhunderts kamen auch die Briten auf den Geschmack. Zumindest ist die Verwendung in der Küche Ende des 18. Jahrhunderts laut der Enciclopaedia Britanica bereits normal. Deutschland folgte im 19. Jahrhundert mit Abstand nach. Das Haushaltungs-Lexicon von 1884 läßt uns u.a. wissen: „Der Liebesapfel liefert nicht allein frisch eine feine Sauce zu Rindfleisch etc., sondern eingemacht auch ein vorzügliches Compot.“

Die Tomate hat sich also langsam im Laufe des 19. Jahrhunderts ihren Platz in den deutschen Küchen erobert. Wirklich etabliert ist sie aber noch nicht. Frau Davidis hat in ihrem Kochbuch von 1877 gerade einmal ein Rezept für „Tomattos (Liebesäpfel)“ im Angebot. In diesem werden sie gehäutet und am Stück mit Ingwer und reichlich Zucker eingekocht bzw. kandiert.  

Das neue Stuttgarter Kochbuch von 1882 hat immerhin zwei Rezepte: eine Suppe und eine Sauce. 

Mein geliebtes Haushaltungs-Lexicon (1884) ist da im Vergleich geradezu überschwänglich. Es gibt außer einem Artikel zum Anbau der Pflanzen sage und schreibe zehn Rezepte. Darunter natürlich schon damals unweigerlich Suppe, Sauce und Ketchup bzw. Catsup. Ich bin allerdings über das Rezept „zur Aufbewahung in frischem Zustand“ ganzer Tomaten im Steintopf gestolpert.

Hier der Originaltext:

„Eine neue Art der Aufbewahrung besteht darin, daß man sie, abgetrocknet, in einen Steintopf legt, mit einer gekochten, wieder abgekühlten Salzlake übergießt, den Topf mit einem Deckel belegt und denselben beschwert. Vor dem Gebrauch müssen die Früchte gewässert werden.“

Das klingt ziemlich genau wie ein altes Familienrezept meiner Oma mütterlicherseits. Es kommen da zwar noch ein paar Zutaten mit in den Steintopf, aber im Grunde ist es dasselbe Verfahren. Besagte Oma hat bessarabische Wurzeln. Diese bessarabischdeutsche Küche hat deutlich vor der klassischen deutschen Küche ausführlich Bekanntschaft mit Tomaten, Knoblauch, Paprika, Zucchini und Co. gemacht, was sich in den Rezepten niederschlägt.

Und so kommt es, dass meine Oma Zeit ihres Lebens noch u.a. Tomaten so haltbar gemacht hat, wie im Haushaltungs-Lexicon als neues Verfahren aufgeführt. Beim Einlegen kommen laut ihrem Rezept aber noch verschiedene Wurzelgemüse dazu. 

Um die von mir so heiß geliebten „Sauren Tomaten“ zu erhalten benötigt man:

Tomaten mit gleichem Reifegrad (nicht zu reif und nicht weich)
Meerrettich am Stück
Sellerieknolle
Knoblauch
kleine, getrocknete Peperoni (frische gehen auch)
Dill
Krautblätter zum Auslegen des Steintopfes

Die Mengen richten sie einfach nach Gefühl. Obacht nur bei Meerrettich und Pepperoni, die geben über die Zeit gut Schärfe ab.



Ich habe einen sogenannten Gesundheits-Gärtopf (Größe hier 5 Liter) verwendet. Man kann aber auch Einmachgläser benutzen. Sie sollten allerdings groß genug sein, damit die Tomaten gut durch die Öffnung passen. Und Achtung, es findet eine Milchsäure-Gärung statt. Gläser also nicht gleich fest zudrehen und auf ein Tablett stellen, falls die Lake überfließt. Erst wenn die Gärung läuft, die Gläser fest verschließen.

Die Zubereitung selbst geht flott und ist unkompliziert: Meerrettich, Knoblauch und Sellerie schälen und in grobe Stücke schneiden. Auf dem folgenden Bild sieht man ungefähr die Mengenverhältnisse. Ein gehäufter, halber Teller Knollensellerie und je etwas weniger als ein Viertel Teller Knoblauch und Meerrettich. Von den Peperoni habe ich 8 Stück genommen.


Im Schüsselchen ist gehackter Dill. Eigentlich gehören mindesten 3-4 Bund Dill am Stück auf diese Menge Tomaten. Ich habe aber einfach keinen schönen gefunden. Und so greife ich lieber zu gefrorenem Dill, statt zu welken Stängeln.

Zuunterst kommen ein paar Krautblätter, darauf habe ich abwechselnd drei Lagen Tomaten und die Wurzelgemüse, Dill und Peperoni geschichtet. Abschließend wieder eine Lage Kraut.

Für die Salzlake rechnet man 25 gr. Salz auf einen Liter Wasser. Das Wasser wird - wie im Rezept angegeben - aufgekocht und erst im abgekühlten Zustand über die Tomaten gegeben. Ich habe übrigens knapp 4 Liter gebraucht.

Wenn die Gärung in Schwung gekommen ist, auf jeden Fall noch ein paar Tage warten. Lieber etwas länger, als zu kurz. Dann ist das Fleisch der Tomaten feinsäuerlich und hat den Geschmack der Wurzelgemüse und Kräuter angenommen. Man entnimmt die Tomaten und spült sie kurz mit Wasser ab. Sie passen wunderbar zu einem kalten Abendessen bzw. wie man im Schwäbischen sagt „Veschper“. Anderswo wären es wohl Jause oder Brotzeit. Und noch ein wichtiger Tip: nicht in die Tomate beißen, erst mit der Gabel einstechen und dann an dieser Stelle die Tomate aussaugen. Sonst hat man eine sehr schöne, kleine Tomaten-Explosion. ;)

Für mich heißt es jetzt aber erstmal Geduld haben und warten. Dann kann ich wieder in Erinnerungen schwelgen.

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* Quelle: Rare Book Division, The New York Public Library. (1772 - 1793).Lycopersicon Galeni = Pomidoro + Pomme d'ammour. [Tomato]Retrieved from http://digitalcollections.nypl.org/items/510d47dd-c6b1-a3d9-e040-e00a18064a99

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